Scheindasein

Gestern Abend war ich noch in der zentralen Einkaufsstrasse unseres kleinen Städtchens. Es war schon dunkel und ich muss sagen, als ich den Weihnachtsbaum mit den Lichterketten sah, war ich schon beeindruckt, wie strahlend schön der aussah. Schlicht, aber schick. Und ich denke noch: „Hätt’ste dem Kaufmannsring gar nicht zugetraut…“ Erst als ich zu Hause das Handyfoto ansah, fielen mir die zwei Stämme auf. Bayrische Monstertannenmutationen? Eine siamesische Fichte? Vermutlich doch wohl eher geschickte Dekorateure, die zwei jeweils nur halbseitig gut gewachsene Bäume preiswert erstanden und zusammenmontiert haben.

Aber warum auch nicht? Tricksen und täuschen ist doch heute nicht ungewöhnlich, oder? Jedes Zeitschriften-Titelmodell mit durchschnittlich normaler Körbchengröße wird heute mittels Photoshop zum Busenwunder aufgeblasen. Die gute alte „Hauptschule“ wird verbal zur Mittelschule aufgehübscht und Männer mit Glatze lassen sich die Zotteln einzeln auf die Platte tackern, um vom Waschbärbauch abzulenken. Fett wird aus dem Po abgesaugt und unter die Gesichtshaut gespritzt, um Falten zu glätten und hohe Wangenknochen zu simulieren. Jemand sagte neulich, das Wort „Arschgesicht“ erhielte eine ganz neue Bedeutung. Das seltsame an dieser Camouflage liegt für mich gar nicht so sehr im Bestreben, schlauer, schöner und schneller zu wirken. Das ist irgendwie menschlich. Das Komische daran ist, das die Menschen bedenkenlos vielfältige Masken aufsetzen und sich damit zum Bestandteil einer amorphen Masse machen, die genau das Gleiche tut. Ist Individualität so verwerflich? Verliert man dabei nicht die eigene Persönlichkeit?

Vielleicht wäre das einmal ein sinnvoller und haltbarer Vorsatz für das kommende Jahr. Seien wir doch wieder mehr wir selbst. Es könnte sein, daß wir uns mögen.

10 Gedanken zu „Scheindasein

  1. Grundsätzlich hast du für das Thema, zu dem dich deine Entdeckung veranlasst hat, sicher Recht. Aus dem Bild in dem Wissen, wie Kleinstädte oftmals zu ihren Weihnachtsbäumen für den Markt kommen (Baum-Spende) schließe ich aber eher etwas anderes: es könnte auch ein echtes, naturgewachsenes Doppel sein, das im Vorgarten eines Mitbürgers unerträglich viel Platz beansprucht hat und von Anfang an sein Astwerk miteinander verflochten hat.
    Wenn es so war, könnte man erfreut sein darüber, dass endlich auch etwas Nichtvorschriftsmässiges nicht der perfekten Weihnachtsbaumnorm Entsprechendes es bis zum offiziellen Stadtweihnachtsbaum bringen konnte.

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    • Mhm – das könnte sein. Vor ein paar Jahren gab es mal so eine Baumspende und einen erleichterten Bürger mehr, der sich über seinen hellen Vorgarten freute. Man muss allerdings dazu sagen, daß wir hier keine Baumordnung haben. Wer fällen will, hackt einfach um und gut ist. 😉

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  2. Ich glaube ja, Du hast nach zu viel Glühwein das Bild verwackelt! Besonders gut finde ich zur Weihnachtszeit, dass sich alle noch mehr Mühe geben mit erhöhten Moschusdosen, wie ein Ochse am A. zu riechen, alle gleich. 🙂

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    • Glühwein? Nee – niemals!
      Ich trinke immer nur grünen Tee. Im Mischungsverhältnis 1:3 mit Strohrum. Also keine Ferwaggelumsgefaah!
      Ich bewundere sehr Deine enorme Allgemeinbildung! Ich wüßte gar nicht, wie ein Ochse am A…chtersteven riecht! Hat das etwas mit Brunftverhalten zu tun?

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      • Die wenigsten würden sich noch mit Parfum besprühen, wenn sie wüssten, was da drin ist!!!
        Gibt es irgendeinen anderen Grund für irdisches dasein außer Brunft? Und sag jetzt nicht Allgemeinbildung!

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      • NEIN! Doch nicht Allgemeinbildung!!!
        Der Sinn des Lebens liegt im Besitz des neuesten iPhones! Wo kommst Du denn her, wie bist Du denn drauf? Wohl noch aus der Generation Sex, Drugs & Rock’n Roll!? Da könnte man sich ja lebendig fühlen, möglicherweise sogar ins Schwitzen kommen. Nee nee – geh‘ mir weg mit Brunft…

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